Adventskalender 2023

Wie wollen wir zusammen lehren und lernen?


– Eine Provokation von Timo Kötzing-

Wir müssen reden. Das denke ich wirklich, wir reden viel zu wenig. Darüber, wie wir gemeinsam an diesem Institut leben wollen, wie wir das Lehren und das Lernen gestalten, das Prüfen und das Arbeiten. Im hektischen Alltagsstress finden wir nicht die Zeit, einen Schritt zurück zu gehen und einmal darüber zu reflektieren, wie wir unseren gemeinsamen Alltag gestalten wollen. Mit diesem Artikel möchte ich ein paar Startpunkte für eine Diskussion schaffen, ich möchte streiten, mit Niveau. Ein paar (provokante?) Meinungen dazu, wo wir uns gerade befinden.

  •  Der Bachelor-ITSE ist ein Massen-Studiengang. Ich höre manchmal, dass wir doch einen so tollen Betreuungsschlüssel haben; auf dem Papier mag das stimmen, bei Vorlesungen mit mehr als 50 Teilnehmenden werden diese trotzdem nicht individuell betreut.
  • Studierende können die Qualität von Lehre kaum und nur sehr ungenügend einschätzen. Ja, es gibt EvaP, aber “Die Themen der Veranstaltung waren gut ausgewählt.” sind frühestens am Ende des Studiums halbwegs durch Studierende beantwortbar, zumindest insofern es um Lehrqualität geht.
  • Die Wissenschaftler, die als Lehrende handeln, wurden nicht für die Lehre ausgebildet: Ein paar Workshops und Bücher machen keine Ausbildung.
  • Bulimielernen ist am HPI verbreitet. Was man so hört.
  • Wir haben einen Schweigevertrag bei großen Veranstaltungen: Studierende fordern keine anregenden Vorlesungen, Dozierende fordern kaum Mitdenken oder Mitarbeit. Komfortzone und so, hauptsache die Note stimmt. Aber was machen wir jetzt? Was können wir machen? Hier ein paar (provokante) Ideen.
  • Noten abschaffen, außer bei einer handvoll Grundveranstaltungen. Geht nicht, laut Gesetz und Erwartungen von Arbeitgebern? Doch, wir können einfach allen Teilnehmenden immer eine 1,0 geben, das ist in etwa äquivalent zur Abschaffung von Noten. Und sieht nachher bei Arbeitgebern gut aus.
  • Alle verbleibenden Klausuren in die erste Woche nach der Vorlesungszeit legen. “Dann gibt es keine Zeit zum Lernen!“ höre ich die Kritik. Doch, die Vorlesungszeit davor ist die Zeit zum Lernen. Nur Bulimielernen geht halt nicht mehr so gut.
  • Die Rollen von Lehrenden und Prüfenden trennen. Nicht die Dozierenden gestalten die Klausur, sondern andere entsprechend qualifizierte Personen.
  • Lehre von den Studierenden her denken. Wer kann für 90 Minuten Vortrag die Aufmerksamkeit halten? In welchen Fällen machen Frontalveranstaltungen Sinn? Brauchen wir wirklich mehr Hörsäle? Mehr D-Space wagen, mehr Kleingruppen, mehr Interaktion, mehr Lernvideos, selbstgemacht oder importiert. Lehre von Teams organisieren lassen, nicht von einzelnen.
  • Individuelle Lernpfade ermöglichen. Wir haben viele Technologien und nutzen wenige. Wir könnten ein Netz definieren an Wissens-chunks, mit Abhängigkeiten. Studierende könnten sich individuell das nächste Thema wählen und digital unterstützt Lehrmaterialien bekommen. Die Logistik wird schwierig? Stimmt, aber wenn Computer aktuell eine Sache schon sehr gut unterstützen können, dann ist das Logistik.
  • Einstufungstests für das Programmieren. Fremdsprachen lernen nicht alle mit den gleichen Kursen. Es gibt Einstufungstests und Kurse passend zum persönlichen Stand. Warum machen wir das mit Programmierung anders? Oder den Mathe-Grundkenntnissen?
  • Lehre evaluieren. Damit meine ich nicht, die Studierenden zu fragen, ob’s Spaß gemacht hat, sondern externe Sachverständige auf die Details schauen lassen.
  • Didaktikkurse verpflichtend. Für alle Dozierenden ohne entsprechendes Zertifikat, begleitend zu den eigenen Vorlesungen. “Alles schläft nur einer spricht, das nennt man Hochschulunterricht.”

Ich hoffe, das gilt nicht auch für diesen Meinungsbeitrag. Also: Her mit euren Gegenargumenten und konstruktiven Vorschlägen!

6 Antworten zu „Adventskalender 2023“

  1. Avatar von Antonio
    Antonio

    Lieber Timo,
    ich möchte auf deine Startpunkte inhaltlich erstmal gar nicht eingehen, denn ich glaube, dass der eigentliche Startpunkt keine Thesen sein müssen, sondern zuallererst ein gewisser Konsens was, und warum, man am HPI eigentlich lernen soll. Solange da nicht zumindest ein Bewustsein existiert ist eine Diskussion sicherlich unterhaltsam, aber meines erachtens nach nur limitiert produktiv.

  2. Avatar von Claire
    Claire

    Willkommen zur 2. Weihnachtschallenge – wir sind auf eure Meinungen gespannt.

  3. Avatar von Paul
    Paul

    Vielen Dank Timo für diese Möglichkeit gemeinsam über Lehre zu diskutieren, wie du das selbst schon gesagt hast, passiert das leider viel zu wenig.

    • Hier habe ich keine direkte Meinung zu, in Vorlesungen mit mehr als 50 Teilnehmenden leidet ja auf jeden Fall das Betreuungsverhältnis im Gegensatz zu kleineren Veranstaltungen habe mich aber in meiner persönlichen Erfahrung dank vieler engagierter Tutorierender nie schlecht betreut gefühlt.

    • Ich glaube nicht dass die Studierenden die Qualität von Lehre schlecht einschätzen können (zumindest spätestens ab ein paar Semestern an der Uni). Ich denke aber das wir als Studierende oft Veranstaltungen viel zu nett bewerten, was dazu führt, dass sich das Spektrum nicht von 1.0 bis 5.0 sondern effektiv von 1.0 bis 3.3 bewegt. Deswegen sollten EvaP Bewertungen nicht wie normale Noten gelesen werden und 1.7 stellt hier meist schon eine mittelmäßige Veranstaltung. Ich weiß nicht, wie sehr das den Dozierenden klar ist.

    • Ja! Mehr Bildung im Bereich Lehre.

    • Ich persönlich bin Bulimielerner obwohl ich mir einrede, dass ich zumindest das Wichtigste längerfristig behalten kann. Warum bin ich Bulimielerner? Zum einen ist das glaube ich teils mit meinen persönlichen Lerntypen verbunden, aber was wahrscheinlich auch ein sehr großer Faktor ist, ist das viele Vorlesungen am HPI mir gefühlt nichts bringen. Man sitzt 90 min in einem Hörsaal, bei teils sehr fragwürdig fähigen Dozierenden, die etwas in einem Tempo beibringen was nicht unbedingt dem eigenen entspricht (ich finde Vorlesungsaufzeichnungen deswegen sehr klasse), eventuell ist da auch vieles dabei was weniger relevant ist für das was man am Ende können sollte. Was mich meist durch eine Vorlesung bringt und mir das nötige Verständnis vermittelt sind die Übungen. Sie sind handfester, wahrscheinlich auch klausurrelevanter, man erhält Feedback, sie sind teils verpflichtend, man sieht wofür man den Sachverhalt tatsächlich lernen sollte und das Wissen bleibt dann auch längerfristig in meinem Gedächtnis. Ich denke wir sollten hier mehr an Lehrbefähigung und Lehrformaten arbeiten.

    • Ich weiß nicht ob ich das einen Schweigevertrag nennen würde. Wir als Studierende sind nun mal angewiesen auf unsere Noten und sind auch oft nicht in der Position sowas direkt anzusprechen. Ich sehe da die Verantwortung viel mehr bei den Dozierenden. Zum einen müssen sie viel offenere Räume für Feedback schaffen (und vielleicht auch selbst danach fragen) zum anderen entsteht rege Interaktion bei Veranstaltungen dadurch das ein Dozierender Interesse und Begeisterung für das Thema schafft. Das ist hier leider viel zu selten der Fall. Auch mehr Austausch Formate, so wie dieses hier, tragen gut zu einer offeneren Feedbackkultur bei. Weswegen kommen die eigentlich fast immer nur von dir Timo?

    • Ja bitte! Noten sind ein veraltetes Konstrukt was von vielen Forschenden in dem Bereich auch als schlecht betrachtet wird. Sie sind ein Stressfaktor im Studium, machen Klausuren zum Hauptfokus des Lernens und tuen auch nicht das, wofür sie gedacht sind. Noten sind nicht vergleichbar und sagen nichts darüber aus, ob eine Person den Sachverhalt verstanden hat. Die selbe Note in einer Veranstaltung die komplexer ist als eine andere Veranstaltung sind auf dem Zeugnis das gleiche aber mit deutlich anderen Kenntnissen und Anstrengungen verbunden. Und es gibt viele Faktoren, die Benotungen beeinflussen wie z.B. eine schlecht gestellte Klausur, Prüfungsangst, falsches Format (z.B. Coden auf Papier), Stress oder ein schlechter Tag (sowohl beim der Person die die Klausur auswertet wie auch bei der Person die sie geschrieben hat), etc…

    • Als jemand der das bereits öfter gemacht hat, alle Klausuren in einer Woche sind auch noch bulimielernbar. Aber für die meisten Menschen, vor allem solche die gründlich Lernen und sich nochmal die Zeit nehmen wollen, über ihr gelerntes zu reflektieren, ist so eine Woche einfach ein sehr großer Stressfaktor, mit dem sich niemand wirklich wohl fühlt. Mal abgesehen davon, dass das danach oft noch ein sehr zehrendes Gefühl hinterlassen kann. Das Problem ist nicht die Zeit, die man hat, sich auf Klausuren vorzubereiten, sondern wie wichtig Klausuren aktuell für Veranstaltungen sind und wie der Lehrprozess bis dahin gestaltet ist.

    • Was ist denn eine andere entsprechend qualifizierte Person? Ich bin der Idee gegenüber offen, aber wer ist denn sonst so mit dem Stoff, der Struktur und Themen, sowie der Fragen, die im Laufe der Lehre auftreten vertraut, dass diese Person eine vernünftige Klausur aufstellen kann, die sich mit der Lehrveranstaltung deckt. Klausuren sollten ja eigentlich feststellen wie gut das gelehrte verstanden wurde.

    • 100%!

    • 100%!

    • Das sehe ich als sehr schwierig. Zum einen ist eine standardisierte Testkultur für Programmiersprachen nicht etabliert (ja es gibt Zertifikate, aber das ist nochmal was anderes) zum anderen hätte, das beim aktuellen Klima am HPI, vor allem in den ersten Bachelorsemestern (wo dies wahrscheinlich am sinnvollsten wäre) eher negative Auswirkungen. Hier herrscht oft noch ein gewisses Elitedenken und es ist bereits durchaus für viele Menschen und Personengruppen einschüchternd, wenn da neben ihnen einer erzählt welches tolle, komplexe System er gerade implementiert hat und wie viel besser im coden er doch ist. Wenn man, dass dann auch auf schwarz und weiß hat ist das noch schlechter für das Selbstwertgefühl. Ja die Idee von solchen Tests ist es ja gerade nicht mit anderen zu vergleichen, sondern einen Überblick zu geben wo man welche Veranstaltung belegen sollte, aber ich sehe bei unserer Kultur die Gefahr, dass das dazu führt das Leute eher mit der Informatik aufhören als das sie Einsteigerkurse besuchen.

    • Die Studierenden sich für Lehre ist unglaublich wichtig aber ja gerne auf Externe. Mehr Feedback ist mehr Feedback und vielleicht wird auf Externe ja auch nochmal anders gehört. Hier würde ich mir aber wünschen, dass Externes Feedback nicht im Vakuum passiert, sondern dass die Studierende da in irgendeiner Form mit reingezogen werden.

    • Ja bitte! Didaktik ist hier ein riesiges Problem, und sollte definitiv mehr ausgebaut werden. Als Professor*in kann man dafür aber nicht verpflichtet werden und hier liegt ja auch unser Problem. Die Personen die solche Schulungen am meisten brauchen, sind auch die die sich am meisten weigern auf Feedback zu hören oder zu diesen Kursen zu gehen. Hier meine Frage als Studierender, wie siehst du das? Hast du dafür schon Lösungsvorschläge? Es existieren momentan Professoren, die einfach nicht (genug) an guter Lehre interessiert sind.

  4. Avatar von Paul
    Paul

    Zum Thema Einstufungstests. Ideallerweise sind solche nicht nötig, wenn Vorlesungen aufeinander aufbauen und diese damit schon gewisse Grundkenntnisse attestieren. Aktuell ist das leider nicht der Fall, hier würde mehr Abstimmung zwischen den Dozierenden und ein gemeinsames Vorgehen deutlich mehr helfen als solche Zertifikate

  5. Avatar von Tim Cech

    Vielen Dank für den Beitrag!
    Da der Artikel mit „einer Provokation“ überschrieben ist, möchte ich auch mit einer Polemik antworten:

    Der Artikel beschäftigt sich mit Möglichkeiten, Lehre interessanter zu gestalten. Dieses Ansinnen teile ich, doch verliert sich der Artikel zu viel auf der formalen Ebene. Aus meiner Sicht können wir uns insbesondere darin verbessern, wirkliche Bildung zu betreiben. Wieso dürfen eigentlich nur Professoren und von ihnen abgesegnete Menschen Lehre betreiben? Wieso darf der Dekan entscheiden, wer eine Veranstaltung gibt? Es spricht aus meiner Sicht nichts gegen die Forderung erst ältere Semester entscheiden zu lassen, da sie besser überblicken können, was ihnen nützte. Aber lassen wir sie doch entscheiden, lassen wir Masterstudierende das Bachelorcurriculum mit designen, lassen wir PhD-Studierende, das Mastercurriculum mit gestalten.
    Wir haben so tolle Forschende und Studierende, fordert sie doch auf, Lehre zu betreiben, lasst ihnen Raum, gebt ihnen Ressourcen, mit Leidenschaft ihre Themen zu teilen. Gebt ihnen die Möglichkeit Lehrkonzepte einzureichen und durch ältere Peers Feedback einzuholen, welches konstruktiv darauf hinarbeitet, die Veranstaltung zu ermöglichen.
    Aber nein, wir lassen lieber dieselbe Veranstaltung immer wieder und wieder lesen, versteifen uns auf Titel und Prestige, um zu entscheiden wer lehren darf. Es steckt Wahrheit darin, dass man in der Forschung verankert sein sollte, um Lehre zu betreiben, aber das ist notwendig und nicht hinreichend. Gute Paper zu schreiben ist nicht korreliert damit gute Lehre zu betreiben. Drum lasst die Leute ran, die Lust drauf haben und das so unbürokratisch, konstruktiv und offen wie möglich!
    Und dann gebt den Lehrenden Perspektive! Zur Wahrheit gehört, dass wer gute Lehre betreiben will, Zeit davon abzwacken muss, die er für gute Forschung verwenden könnte. Die Forschung kann überall auf der Welt gewertschätzt werden, die Lehre nur vor Ort. Also wieso belohnen wir Menschen, die die Hochschullehre ernst nehmen, nicht damit ihnen Dauerstellen am HPI zu geben? Diese Kettenbefristung ist sonst der Todesstoß für Menschen, die gute Lehre betreiben wollen.
    Fordern wir die Studierenden, aber nicht mit der Autorität eines Dozierenden. Wir wollen mündige Menschen ausbilden und keine Fachidioten. Drum lernen wir von ihnen, während wir lehren, kommen wir mit ihnen ins Gespräch. Wieso gibt es eigentlich so wenige Seminare im Bachelor?
    Versuchen wir ihnen früh neue Perspektiven zu bauen, fordern wir sie auf mit anderen Fachbereichen – sogar anderen Wissenschaftsrichtungen – zu interagieren. Ich liebe das HPI, da die Studierenden hier so unglaublich sind, aber erkennen wir an, dass die Universität Potsdam nicht umsonst ihren exzellenten Ruf hat. Ein überfachlicher Wahlpflichtbereich wie an der HU Berlin wäre hier beispielsweise eine Idee. Einfach mal etwas, was nicht Informatik ist für die weitere Bildung!
    Betreiben wir mit ihnen Forschung, sobald sie bereit sind und nicht erst, wenn sie den ersten formellen Abschluss in den Händen halten. Wenn sie Lust auf einen solchen Kurs haben, wieso nicht schon im Bachelor in die Fachwissenschaft eintauchen? Vielleicht gewinnen wir so sogar neue Perspektiven für unsere eigene Forschung!
    Es bricht mir immer das Herz, wenn ich vor mich hin philosophiere und nur in nickende Gesichter starre und am Ende das Feedback bekomme, dass man es nicht verstanden hat. Ist es wirklich so mit Angst behaftet, mich herauszufordern, mit mir zu diskutieren? Ich möchte Studierende auch notentechnisch wertschätzen können, die sich das trauen.

    Nebenbei erwähnt, bei über 20 Professuren bald über 30 Professuren sollte es doch möglich sein, Grundlagenveranstaltungen zu duplizieren, sodass wir nicht über 50 Menschen pro Veranstaltung haben, oder?

  6. Avatar von Michael Wiedehage
    Michael Wiedehage

    Da ich nicht so viel Lust habe mir solch ellenlange Kommentare durchzulesen, gehe ich einfach mal davon aus, dass du dazu auch kein Bock hast. Also will ich mich kurz halten. Mir bringt ein Tutorium so viel wie 10 Vorlesungen. In zahlreichen Vorlesungen sind 90% der Inhalte schlichtweg nicht klausurrelevant und nur abstraktes Geschwafel. Das resultiert darin, dass zu vielen Vorlesungen nichtmal ein Drittel hingegen. Achja, Timo’s 3. Punkt, dass nur eine entsprechende ausgebildete Person dazu in der Lage ist, gut zu lehren: ich finde das stimmt überhaupt nicht, die Tutoren habe solch eine Ausbildung ja auch nicht…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert